Ein Lagerspiel – Die richtige Passung für Gleitlager aus Kunststoff finden
Lars Butenschön | 15. August 2018
Lagerstellen richtig konstruieren ist keine Wissenschaft – auch wenn man natürlich eine draus machen kann. Um die richtige Passung für Gleitlager zu finden oder die Daseinsberechtigung von Lagerspiel zu verstehen, muss man auch keine Bücher wälzen. Die empfohlenen Passungsangaben der Gleitlagerhersteller reichen häufig völlig aus, um eine sinnvoll funktionierende Lagerung zu erhalten. So empfiehlt igus für die angebotenen Norm-Gleitlager eine Standard „H7“ Bohrung (auch Einheitsbohrung genannt) und eine „h9“ tolerierte Welle. Zusammen mit der nach dem Einpressen vorliegenden „E10“ Toleranz sorgt dies dann für die optimale Gleitlager-Erfahrung. Bei den genannten Angaben handelt es sich um sogenannte Passungen, mit denen man die maßliche Beziehung zwischen zwei Teilen beschreibt. Aber wie kommen diese Angaben zu Stande und was, wenn ich als Konstrukteur/Kunde/Gleitlager-Enthusiast jetzt aber doch andere Vorstellungen von einer optimalem Gleitlager-Erfahrung habe?
Ohne Passungen läuft´s nicht. So wie Kranplätze nunmal verdichtet sein müssen, müssen Gleitlager fixiert sein. Und zwar entweder in der Aufnahme (Regelfall) oder auf der Welle (Ausnahmefall). Warum? Der Theoretiker weiß zu formulieren: In der Mechanik erzeugen relativ zueinander bewegte Bauteile Verschleiß (Jedenfalls in den meisten Fällen). Damit die Baugruppe sich aber möglichst so bewegt wie sie soll und bei der Instandhaltung nicht alle möglichen Teile auf Verschleiß untersucht werden müssen, sorgt man dafür, dass sich möglichst wenig Teile gegeneinander bewegen können. Im Idealfall verschleißt nur das entbehrlichste (weil günstigste) Bauteil gezielt, damit die teureren Bauteile unbeschadet bleiben. Zur Einschränkung der Bewegungsmöglichkeiten kann man natürlich auch zu Hilfsmitteln wie Schrauben, Nieten oder Kleben greifen. Kostengünstiger (vor allem bei großen Stückzahlen) ist in den meisten Fällen jedoch der Weg über die Passung.
Die verschiedenen Arten von Passungen
Der Theoretiker unterscheidet drei Passungsarten, die sich durch die Wahl der Bauteiltoleranzen beeinflussen lassen. Zur Auslegung dieser Passungen gibt es verschiedene Hilfsmittel, zum Beispiel mechanische Toleratoren oder Smartphone-Apps wie den Passungsrechner.
Am Beispiel des zu montierenden Gleitlagers in die Bohrung sehen diese wie folgt aus:
Bei der Übermaß- oder Presspassung lässt sich das Lager nur mit etwas Gewalt in die Bohrung ein- oder ausbauen. Der Durchmesser der Bohrung ist kleiner als der Außendurchmesser des Gleitlagers. Würde man nun wollen, dass das Gleitlager garantiert durch die Bohrung fällt, wäre die Wahl einer Spielpassung ratsam.
Bei der Spielpassung ist der Durchmesser der Bohrung garantiert größer als der Außendurchmesser des Gleitlagers. Selbst wenn der Bohrungsdurchmesser an der untersten Toleranzgrenze (also am kleinsten erlaubten Maß) und der Lagerdurchmesser am obersten Rand der Toleranzgrenze gefertigt würden. Der Gleitlager-affine-Leser ahnt bereits, wofür das sinnvoll ist. Aber dazu gleich mehr.
Die Übergangspassung stellt – wie der Name schon sagt – den Übergang zwischen Spiel- und Presspassung dar. Das Größtmaß der Bohrung ist größer oder gleich groß wie das Kleinstmaß des Gleitlagers. Der Praktiker kennt noch eine vierte Passungsart. Die sogenannte Wurfpassung. Hier ist das Spiel zwischen den Bauteilen derart groß, dass man das kleinere Bauteil durch das andere hindurch werfen kann. (Andere Definitionen bezeichnen mit dem Wurf den Wurf der Teile in die Ausschusskiste 🙂 ).
Die Sache mit dem Lagerspiel
Während die Presspassung zur Fixierung des Gleitlagers dient, wird die Spielpassung für das Zusammenspiel mit dem sogenannten Gegenlaufpartner benötigt. An der Stelle also, wo sich etwas bewegen soll. In den meisten Fällen ist dies zwischen Welle und Gleitlager der Fall. Die Welle bewegt sich am Innendurchmesser des Gleitlagers entlang. Damit sich die Welle ungehindert bewegen kann, sollte der Wellendurchmesser nicht größer sein als der Innendurchmessers des Gleitlagers. Logisch eigentlich. Einfach die Toleranzen so legen, dass die Welle auch im worst-case kleiner ist als das Lager. Alles gut. Fast. Zu viel „Platz“ oder Spiel zwischen Welle und Lager ist ebenfalls unerwünscht. Der High-End-Mountainbike-Enthusiast klagt über die klappernden Gelenke am gefederten Hinterbau. Der Premium-Drehsessel-Freund über das quietschende Dreherlebnis und der Autofahrer über wackelige Pedale. Alles klar. Also enge Toleranzen setzen, Lagerspiel auf das absolute Minimum reduzieren – oder? Fast.
Ein bisschen Spiel muss sein
Gleitlager im Allgemeinen und Kunststoffgleitlager im Speziellen erfordern ein gewisses Lagerspiel, um verschiedene Umgebungsfaktoren zu kompensieren. Einige Kunststoffe nehmen verhältnismäßig viel Wasser auf (z.B. erhöht sich das Volumen von PA 6.6 um ca. 3%) oder dehnen sich mit ansteigender Temperatur aus. Geschieht das, verringert sich das Spiel.
Ist das Spiel von vornherein zu gering dimensioniert, kommt es zum Klemmen. Die Welle läuft schwergängig, was zu veränderter Haptik oder Maschinenleistung führen kann. Das Lager verschleißt schneller. Im schlechtesten Fall zerlegt sich gar die Lagerstelle in seine Einzelteile. Es gilt also einen Mittelweg zu finden.
So viel Lagerspiel wie nötig, so wenig wie möglich. Je geringer man das Lagerspiel ausführen will, desto genauer sollte man sich die Umgebungsparameter anschauen und desto mehr Wert sollte man auf möglichst genaue und strenge Qualitätsvorgaben legen.
Wie immer, muss man wirtschaftliche und technische Aspekte gegeneinander abwägen. Ein extrem geringes Lagerspiel funktioniert nicht bei gestanzten groben Aufnahmen, unpräzisen Wellen und „billigen“ Kunststoffen. Letztendlich sind hier immer Kompromisse und Mittelwege zu beschreiten, wobei sich viele Probleme durch die richtige Werkstoffauswahl oder eine ausgeklügelte Teilegeometrie kompensieren lassen.
Die günstigste Lösung, die funktioniert
Das eingangs erwähnte Szenario (Gleitlager innen E10, Welle h9, Bohrung H7) ist ebenfalls das Ergebnis einer solchen Abwägung. Die Toleranzen sind in der Herstellung relativ günstig zu erreichen, funktionieren auch mit Kunststofflagern aus preiswerten Materialien und bieten andererseits ein für die meisten Anwendungen ausreichend geringes Lagerspiel, um eine gute Haptik und laufruhige Maschinenelemente zu ermöglichen.
Die igus GmbH stellt sowohl Gleitlager, als auch Kugellager aus tribologisch optimierten Kunststoffen aus eigener Entwicklung her. Ein Team von Anwendungsentwicklern und Verkaufsberatern helfen Ihnen dabei – auch direkt bei Ihnen vor Ort – das richtige Bauteil für Ihre Anwendung zu finden.