Kantenlast in der Praxis – Warum die empfohlene Flächenpressung oft täuscht
Lars Butenschön | 24. März 2020
Gar nicht so selten kommt es vor, dass sich Gleitlager in verschiedenen Anwendungen abrupt in einen Haufen Brösel verwandeln. Da gibt es den Muldenkipper, dessen Kipper-Lagerung sich mit einem dramatischen Knirschen verabschieden oder Türen die erst quietschen und dann absacken. Und ebenfalls gar nicht so selten stehen Anwender, Verkaufsberater und Konstrukteure ratlos da und fragen sich, wie das nun kommen konnte. „Schmierung?“ – „Brauchen wir nicht. Schmierfrei, sagt der Hersteller“. „Korrosion?“ – „Ne, kein Metallstaub zu sehen“. „Richtiger Werkstoff?“ – „Klar, hier, Datenblatt. PV-Wert, Temperatur, Flächenpressung, alles im grünen Bereich. Mit Sicherheitsfaktor“. Also alles in Ordnung? Vielleicht ein Materialfehler? Falsche Toleranzen? Ein häufiges Thema: Kantenlast. Aber was ist eine Kantenlast? Und wieso bleiben Sie oft unentdeckt, bis es zu spät ist?
Kantenlast – Am Beispiel erklärt
Eine Lagerstelle, an der Sie garantiert schon tausende Male vorbeigegangen sind: Türscharniere. Einen neuen Ansatz bei der Gestaltung von Türscharnieren verfolgt der belgische Hersteller AnywayDoors mit einem besonderen System. Die Türscharniere werden in Boden und Türsturz verbaut und ermöglichen eine Konstruktion, die eher wie eine Drehtüre funktioniert. In beiden Lagern kommen Gleitlager mit einem tragenden Bund zum Einsatz. Somit erfüllt das Lager gleich zwei Funktionen gleichzeitig. Es führt die rotierende Bewegung des Bolzens und stützt gleichzeitig die Türe ab. Ein cent-stück großes Gleitlager stützt eine Türe, die bis zu 150 kg schwer sein kann. Das ergibt auf die Größe der tragenden Fläche eine Flächenpressung von knapp 20 MPa. Zur Einordnung: Kleinwagen mit 2 Tonnen Gewicht am Zeigefinger tragen: ca. 30 MPa. Für dieses Lastszenario eignen sich verschiedenste Lagerwerkstoffe. Und doch kommt hier mit iglidur® Q290 ein speziell für hohe Lasten entwickelter Werkstoff zum Einsatz. Wieso?
150 kilo Last auf der Größe eines Cent-Stücks
Der Begriff Flächenpressung beschreibt – und deshalb heißt er so – wieviel Kraft pro tragender Fläche auftritt. Bei Gleitlagern wird hier üblicherweise davon ausgegangen, dass der Querschnitt eines Lagers (Innendurchmesser x Lagerlänge) die tragende Fläche darstellt. Die zu stützende Last verteilt sich auf die Fläche. Problematisch wird es, wenn der Traganteil – also die Fläche im Lager, die die Last stützen soll – kleiner wird. Im vorliegenden Fall wirken jedoch Hebelkräfte auf die Gleitlager. Durch die nicht mittig positionierte Lagerung der Türen, wir das Gewicht der Tür nicht mittig auf dem Lager verteilt. Durch die Hebelwirkung drückt die Türe das Lager auf der einen Seite stärker herunter als auf der anderen. Am Rand des Bundes entsteht eine Kantenlast, was zur Beschädigung des Lagers führt. Nicht so in diesem Fall. Das Gleitlager stützt die Lasten sogar problemlos. Tests haben gezeigt, dass selbst nach mehr als 150.000 Zyklen kein Verschleiß zu beobachten war.
So vermeiden Sie aus Kantenlasten resultierende Lagerschäden
Oft hilft schon die Wahl eines geeigneteren Lagerwerkstoffes. Bei Gleitlagern aus Kunststoff helfen hier faserverstärkte Werkstoffe, die Lasten aufzunehmen. Besonders widerstandsfähig sind hier auch Gleitlager aus gewebtem Filament.
Auch eine Vergrößerung des Gleitlagers, zum Beispiel durch den Einsatz einer längeren Buchse kann Abhilfe schaffen
Am besten ist es jedoch, Kantenlast nach Möglichkeit zu vermeiden. Konstruieren Sie nach Möglichkeit zusätzliche Lagerstellen ein oder verbessern Sie falls möglich die Fluchtung von Welle und Lagern, um ein Verkanten der beweglichen Teile zu vermeiden.
Wir beraten Sie gerne
Kantenlasten und Lastverteilung in Gleitlagern generell können schnell komplexer werden und sprengen den Rahmen eines Blogposts. Für diese und weitere Fragestellungen beraten wir Sie gerne persönlich und helfen Ihnen, die für Sie günstigste Gleitlager-Lösung zu finden, die für Sie funktioniert.