Gleitlager aufreiben – Was Sie beachten sollten
Lars Butenschön | 21. September 2018
„Jetzt nur noch die Achse durch die beiden Buchsen schieben und…“ …ja und dann passt es leider doch nicht. Soll eine Welle durch zwei hintereinander angeordnete Gleitlager geführt werden, helfen manchmal auch die tollsten Passungen nicht. Also was tun? Die Abhilfe: Gleitlager aufreiben.
Warum überhaupt Gleitlager aufreiben?
Besonders häufig besteht die Notwendigkeit zum Aufreiben von Gleitlagern bei sogenannten Kingpins, einem wichtigen Bestandteil von Radaufhängungen. Diese Kingpins finden sich in den meisten Nutzfahrzeugen wie LKWs, aber auch in Gabelstaplern oder Baumaschinen. Die immer größer werdenden Fahrzeuge erfordern immer größer dimensionierte Achsen. Je größer die Achse, desto größer der Abstand zwischen den Buchsen, durch die die Welle pass-genau hindurchgeführt werden muss.
Wenn die beiden Lager nicht genau in einer Linie hintereinander liegen (Man spricht von der „Fluchtung“), wirken sich genaue Passungen negativ aus. Gröbere Bohrungstoleranzen können dabei helfen, Fluchtungsfehler auszugleichen. Aber wer will schon Gleitlager mit unnötig viel Spiel und damit Herumgeklapper einsetzen. Um die Welle also trotzdem problemlos durch beide Gleitlager hindurch führen zu können, ohne auf möglichst spielfreie Lager zu verzichten, bietet sich das sogenannte „Aufreiben“ an. Bei diesem Vorgang wird eine Reibahle rotierend durch beide Lager geführt. Anders als bei einem Bohrer, findet die Schneidwirkung am Außendurchmesser des Werkzeugs statt. So werden beide Gleitlager fluchtend auf den gleichen Durchmesser aufgerieben und die Welle lässt sich perfekt hindurch führen.
Allerdings hat diese Methode einen Nachteil. Die Gleitfläche des Lagers wird durch den Schneidvorgang – wie der Name schon sagt – aufgerieben. Das heißt, dass die ursprüngliche Gleitschicht verändert oder sogar beeinträchtigt wird. Der aufmerksame Blogleser und/oder Gleitlagerspezialist wird bereits mutmaßen, dass hiervon vor allem die bekannten Verbundlager aus Metall mit PTFE-Schicht betroffen sind. Kunststoffgleitlager! mit homogenem Aufbau! Aus Hochleistungspolymeren und Festschmierstoffen! Denen wird das ganze Gereibe nichts ausmachen! Ja, genau das. Also fast.
Ganz schön aufreibend… vor allem für faserverstärkte Lager
Tatsache ist, dass sich die Oberfläche von Gleitlagern aus Kunststoff ebenfalls durch das Aufreiben verändert. Die meisten Kunststoffgleitlager entstehen im Spritzguss, wodurch die Oberfläche der Lager im Auslieferungszustand mit einer sogenannten „Spritzhaut“ überzogen ist. Die Eigenschaften dieser und die Konsequenzen ihres Fehlens allein füllt einen weiteren Blogpost und führt hier zu weit. Tatsächlich verändern sich die Laufeigenschaften hierdurch, jedoch in der Regel zum Besseren, da die Einlaufphase entfällt.
Bei faserverstärkten Werkstoffen ist jedoch Vorsicht geboten. Und hier kommen wir zur wichtigsten Aussage dieses Blogposts. Viele Gleitlager aus Kunststoff sind mit teils winzigen Fasern oder Filamenten aus Glas oder Kohlenstoff (Carbon) verstärkt. Bei der Bearbeitung brechen diese ab und liegen offen an der Oberfläche des Gleitlagers. Die Oberfläche wird rau und unansehnlich. Die Gleiteigenschaften verschlechtern sich.
Unnötige Reibereien vermeiden – Die Initialschmierung
Dabei hilft es schon, eine dünne Schicht Schmierung bei der Montage als „Initialschmierung“ aufzutragen. Die Schmierung setzt sich – vereinfacht beschrieben – zwischen die Fasern und schützt die Welle so lange vor den Fasern, bis sich durch den ersten minimalen Verschleiß wieder eine homogene Oberfläche aus Festschmierstoffen und unbeschädigten Fasern hergestellt hat. Wie das Verschleißdiagramm zeigt, ist die Verschleißrate des initialgeschmierten Lagers deutlich geringer – und damit besser – als die des ungeschmierten aufgeriebenen Lagers. Und sogar besser, als die Verschleißrate des unbearbeiteten Gleitlagers.
Das Kunststoffgleitlager, welches im Zweifelsfall vorher selbstbewusst als „schmiermittel- und wartungsfrei“ beworben wurde, ist zwar nun strenggenommen nicht mehr ganz Schmiermittelfrei (da man es ja initial geschmiert hat), aber dennoch wartungsfrei. Nach der Einlaufphase kommt das Lager wieder ganz ohne zugeführte Schmierung aus. Bei den besagten Kingpins stellt die beschriebene Initialschmierung häufig kein Problem dar. Sie gehört zur Standardvorgehensweise und bietet ohnehin einen wichtigen Schutz gegen die häufig korrosionsgefährdeten übrigen Bauteile.