Der richtige Kunststoff für Gleitlager: Darauf kommt es an
Lars Butenschön | 11. Dezember 2020
Wenn Sie diesen Blogbeitrag lesen haben Sie wahrscheinlich schon herausgefunden, dass es nicht „den Kunststoff“ für Gleitlager gibt. Kunststoffgleitlager gibt es aus vielen verschiedenen Kunststoffen. Viele davon mit mehr oder weniger aufregend klingenden Markennamen. Andere mit noch weniger einprägsamen Abkürzungen oder Codes. Darf es ein POM sein? Oder ein POM-C? Vielleicht lieber ein irgendwas-mit-glide? Oder lieber gleich ein PA6630GF10? Nicht selten erfährt man Preise erst nach ordentlicher Anfrage-und-Angebot-Prozedur und selbst dann fällt der Vergleich nicht unbedingt leichter. Marketingbeschreibungen übertrumpfen sich gegenseitig mit technisch kaum einzuordnenden Größen. Sehr gute Verschleißeigenschaften oder hervorragende Gleiteigenschaften, hohe mechanische Beständigkeiten und gute Biegefestigkeiten; Die Möglichkeiten scheinen endlos. Der vermeintliche Ausweg: Datenblätter. Aber was sagt die maximale Feuchtigkeitsaufnahme oder das E-Modul über die Eigenschaften als Gleitlager aus? Auch ein Hochtemperatur-Hochleistungspolymer kann quietschen oder Aluminiumwellen ungewollt abschmirgeln. In diesem Beitrag erfahren Sie, worauf es bei der Wahl des richtigen Kunststoffs für Gleitlager wirklich ankommt.
Was soll es denn können?
Egal ob Sie einen Fernseher im Elektrofachmarkt um die Ecke, ein paar Laufschuhe oder ein Auto kaufen. Jeder einigermaßen qualifizierte Verkaufsberater wird Sie genau das fragen. „Was haben Sie denn vor?“ (Natürlich in Abwandlungen). Und dahinter verbirgt sich erstmal auch keine Verkaufsmasche. Es gilt (oder sollte gelten), herauszufinden was Ihnen wichtig ist. Und welche Produktfeatures gar nicht gebraucht werden oder sogar hinderlich sind. Denn je spezialisierter ein Produkt ist, um bestimmte Anforderungen zu erfüllen, desto weniger erfüllt es bestimmte andere Anforderungen. Mein Familien-Van ist eben gut darin, gefühlt unendlich viel Kram durch die Landschaft zu karren, aber nicht besonders gut im Auf-der-3-Spurigen-Autobahn-links-fahren. Oder im Emissionsarmen-Fahren.
Der Punkt ist: Versuchen Sie möglichst genau zu definieren, was Sie mit dem Gleitlager vorhaben. Wichtige Kriterien sind:
- Die Last, die auf das Lager wirkt
- Die Art, Geschwindigkeit und Frequenz der stattfindenden Bewegung
- Die Umgebungstemperaturen
- Die Einbausituation (Was genau soll gelagert werden. Und wo)
- Weitere Umwelteinflüsse wie Nässe, Chemikalien oder Witterung
All diese Faktoren bestimmen, welches Gleitlager sie benötigen. Die Kombination aus Last, Bewegung und Umgebungstemperaturen ist vor allem maßgeblich für die reibungsbedingte Wärme, die in der Lagerstelle später entsteht. Diese wird anhand des sogenannten PV-Werts ausgedrückt und verglichen. Hier lässt sich bereits eine erste Aussage über die Eignung eines Werkstoffs für Ihre Anwendung treffen.
Hohe Temperaturen oberhalb von 80°C erfordern besondere, temperaturbeständige Werkstoffe. Zudem beeinflussen diese Temperaturen im Betrieb natürlich den oben genannten PV-Wert.
Weitere Umwelteinflüsse, wie beispielsweise Nässe oder Chemikalien können wiederum Werkstoffe mit hoher Chemikalienbeständigkeit erfordern.
Im Zweifel: „der Standard“
So wie es auch Fernseher, Autos oder Schuhe gibt, die für die meisten Lebenssituationen irgendwie aber eben nicht optimal passen und entsprechend den Geldbeutel schonen, gibt es auch Kunststoffe für Gleitlager, die ein bisschen von allem aber nichts überragend können und vergleichsweise wenig kosten. Hierzu zählen die recht verbreiteten und leicht verfügbaren „Standard“-Konstruktionskunststoffe wie POM oder PA66. Bei Anwendungen mit etwas recht geringen Geschwindigkeiten und Lasten (Um es technisch und konkret zu beziffern: Unterhalb von ca. 0,5 m/s im eher sporadischen Betrieb und bei Lasten unter 1-2 MPa) genügen diese bereits. Trotzdem ist es sinnvoll, Varianten zu verwenden die zusätzlich „tribologisch optimiert“, also mit Festschmierstoffen wie PTFE oder MoS2 verbessert sind. Bei Gleitlagerkunststoffen, die ohne die Bezeichnung des Basispolymers (Also PA66 oder POM bspw.) verkauft werden, hilft es, auf Hinweise wie „Standard“ oder „Basis zu achten. Die „Einsteigervarianten“ bestehen häufig aus den genannten Basispolymeren.
Doch je spezieller die Anforderungen – und dazu können schon ein exotischerer Wellenwerkstoff oder eben höhere Laufgeschwindigkeiten gehören desto komplizierter wird die Wahl des richtigen Kunststoffs.
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