„Wir freuen uns auf die nächste Reklamation“

igu-blog-adm | 15. Februar 2022

Als ich diese Aussage vor über 15 Jahren das erste Mal gehört habe, dachte ich: „Das kann doch nicht unser Ernst sein.“ Eine Reklamation ist doch etwas Schlechtes, kostet Geld, schädigt die Reputation, stiftet Unfrieden und ist mit einer Menge Arbeit verbunden. Heute stehe ich felsenfest hinter genau dieser Aussage. Aber warum?

Der enttäuschte Kunde

Ich möchte meinen veränderten Blickwinkel mit einer kleinen Geschichte illustrieren:

Wir haben einen Kunden, der Anlagen herstellt. Diese Anlagen holen kleine Kartons individuell aus einem Lagersystem heraus und stellen Sie dem Endkunden zur Verfügung. Naturgemäß geht es in solchen Anlagen sehr eng zu. Das bedeutet, Energiekette und die Leitung müssen mit ganz wenig Raum auskommen, sollen aber trotzdem lange halten.

Wir bei igus haben genau dafür Ketten und Leitungslösungen mit einer klaren Lebensdaueraussage für den Kunden. Auf diese Aussage verlässt sich der Kunden und verkauft seine Anlagen weltweit als nahezu wartungsfreies System.

Doch wir haben den Kunden enttäuscht!

Wir bekamen einen Anruf mit der Meldung eines Aderbruchs in einer Leitung. Die Rahmenbedingungen der Anwendung waren klar und die Leitung wurde vorab nach Norm getestet. Wir vermuteten einen Einbaufehler. Unser Kunde kam stark unter Druck, da die Anlagen weltweit ausgeliefert wurden. Wir besichtigten die Anwendung und sezierten die Leitung. Es stellte sich heraus, dass eine Ader nicht so gefertigt war, wie es diese hochdynamische Anwendung erfordert.

Das Verstehen der Hintergründe

Aber wie konnte das passieren? Wir haben doch konsequent nach Norm gearbeitet und die Leitungen entsprechend geprüft. Was für den Kunden noch viel wichtiger war, war aber die Klärung, welche Anlagen genau betroffen sind. Wir konnten damals unter großem Aufwand die Fertigungscharge herausfinden und den Fehler zügig in allen Anlagen beheben.

Nachdem der erste Schock über die großen Ausmaße des Fehlers überwunden war, war unser Kunde begeistert, wie offensiv und zielstrebig wir die Lösung der Problematik angegangen sind. Dieser aktive Umgang hat bei diesem Kunden bis heute Eindruck hinterlassen und ein wahnsinnig hohes Vertrauen in uns als Geschäftspartner erzeugt. Mit dieser Reklamation haben wir ein gehöriges Maß an Reputation für Krisenzeiten erhalten und er schenkt uns bis heute das Vertrauen.

Lernen aus Fehlern

Neben einem zufriedene Kunden, hatten wir noch etwas: Wir hatten einen Lerneffekt!

Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, Produkte und deren Herstellungsprozess zurück verfolgen zu können. Es ist wichtig zu wissen, wann ein Produkt gebaut wurde, welchen Zustand es hatte und wer von diesem Produkt beliefert wurde. Dieser Vorfall war die Geburtsstunde der Chargenkennzeichnung auf unserer Leitung. Heute ist es uns möglich zu sagen

  • welche Leitung in welcher Fertigungscharge hergestellt wurde
  • wann welche Leitung gefertigt wurde
  • wo die jeweiligen Chargen lagern
  • an wen die Leitungen geliefert wurden

Heute eine Rückverfolgbarkeit in Sekunden möglich, wofür wir damals Tage gebraucht haben.

Normen und Chargenprüfung bei Leitungen

Wir haben aber noch etwas gelernt: Die übliche Prüfmethode in der Leitungsherstellung ist basierend auf Normen. Diese wiederum beschäftigen sich mit bewegten Leitungen. Eine Leitung für die Kette ist auch bewegt, aber wird deutlich höher strapaziert. In den Normen werden aber allgemeingültig Bewegung betrachtet und nicht im speziellen. In einer Leitung für Hochdynamik, für kleinste Radien in Energieketten, bedarf es Prüfungen in der tatsächlichen Anwendung. Aus diesem Grunde wurde zusätzlich zur Norm-Prüfung unsere Chargenprüfung eingeführt. Hiermit wird heute nach statistischen Verfahren Stichproben der gefertigten Produkte gewählt und in einen fast definierten Test, in einer echten Anwendung an ihre Grenzen gebracht. Somit wird jedes Material im Produkt über dem normalen Maß strapazieren. Damit decken wir Fehler auf, die in Standardtest unerkannt bleiben.

Reklamationen sind Investitionen

Wenn man nun nur die zwei großen Erkenntnisse betrachtet, die wir aus dem Sachverhalt gezogen haben, ist man in der Lage zu erkennen, wie viel Potenzial im aktiven Umgang mit einer Reklamation liegt. Wir verinnerlichen das, in dem wir diesen Gedanken schon in den ersten Trainingstagen neuer Mitarbeiter vermitteln. Wenn wir nur den Bereich der chainflex Leitung sehen, sind diese Verbesserungen die Basis für unsere Lebensdaueraussage, unseren Lebensdauerrechner und unsere Option, verschiedene Leitungsqualitäten für verschiedene mechanische Kundenanforderungen zur Verfügung zu stellen.

Die Reklamation war also kein Verlust, sondern eine Investitionen in die Verbesserung der Kundenbeziehung und des Produktes.

Hier kommen Sie zum Lebensdauerrechner – Testen Sie doch mal wie einfach sich heutzutage die garantierte Lebensdauer berechnen lässt.

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